Gefundenes aus dem Bücherschrank 14

Die Roggenmuhme

Kleingeschichten von Werner Lindemann / Tribüne Verlag 1986

Halb acht

"Wie ein Kind hat er im Sarg gelegen", sagt Tante Lotti. " Gar nicht mehr zu erkennen. "Er hat ja aber auch tüchtig getrunken in letzter Zeit". Der Hermann also!

Dieser Winzling mit den kurzen, borstigen Haaren, wie Igestachel grätig - mit keiner Pomade, von keinem Kamm zu bändigen. Kaum drei Wochen ist es her, da sah ich den Alten noch den Kaninchenstall ausmisten, Holz hacken. Immer flottweg. Ohne aufzugucken. Hermann liebt lange Pausen nicht. Jeder Handgriff sitzt. Die Axtschneide trifft haargenau die Mitte des Holzes. Mit solch sicheren Hieben dürfte der Mann mit dem kleinen, breitstirnigen Kopf in seinen besten Jahren als Fleischer die Schweine geschlachtet haben.

Hermann mit der Zigarre, die ihm ständig ausging, weil er immer was zu erzählen hatte. Oder eindöste. Sein Stammplatz in Tanti Lotis Gaststube: der Stuhl neben dem Ofen. Getrunken wurde klarer, dazu Bier. Wer die Gaststube betrat mußte einen mittrinken. Der freundliche Alte also ist unter der Erde. Viel zu früh.

Jetzt gongt in Tante Lottis Gaststube der Regulator: halb acht. Die Gaststubenbesitzerin horcht auf, sieht zu leeren Stuhl am Ofen: " Jetzt müßte Hermann kommen...

Um die Zeit kam er immer..."

 

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